
Blogbeitrag
Meine Emetophobie Geschichte: ein Freigeist in der Falle der Angst
Rückblickend auf mein Leben, betrachte ich mich als ein ängstliches Kind. Zurückhaltend und in gewisser Weise in meiner eigenen Angst-Welt gefangen, konnte ich meine Kindheit nicht uneingeschränkt genießen, auch wenn es keinen offensichtlichen Grund zur Klage gab. Diese Erkenntnis ist mir erst in jüngerer Zeit klar geworden, nachdem ich mich intensiv mit meiner persönlichen Entwicklung und meiner Vergangenheit auseinandergesetzt habe. Früher konnte ich es nicht greifen, heute hingegen, kann ich meine Gefühle in klare Worte fassen.
Die Emetophobie, die Furcht vor dem Erbrechen, begleitete mich seit meiner Kindheit. Meine früheste Erinnerung an diese Angst stammt aus einem Tag in den Ferienspielen. Während diese Zeit für die meisten Kinder Freude und Freiheit bedeutete, löste sie bei mir Ängste aus. Die Angst, von meinen Eltern getrennt zu sein, und die Furcht davor, bei den Abwaschdiensten eingesetzt zu werden, dominierten meine Gedanken. An jenem Tag, als ich tatsächlich für den Abwasch eingeteilt wurde, weigerte ich mich und brach in Tränen aus. Als Kind konnte ich den Grund für mein Verhalten nicht artikulieren, weshalb meine Reaktion als Trotz abgetan wurde. Doch für mich war es ein wahrer Alptraum, der nicht nur mein damaliges Ich prägte, sondern auch meine zukünftigen Entscheidungen im Leben beeinflusste. Ich beschloss, ähnliche Situationen für den Rest meines Lebens zu meiden.
Über lange Zeit hinweg war mir nicht bewusst, dass meine Ängste eine Störung waren. Ich führte mein Leben weiter, vom Kindesalter zum Teenager heranwachsend, und spürte erstmals die Auswirkungen meiner Vermeidungsstrategien. In einer Zeit, in der meine Freunde ausgelassen feierten und ihre Jugend genossen, kämpfte ich mit einem tiefen Unzufriedenheitsgefühl. Es wäre wohl niemandem von außen aufgefallen, doch in meinem Inneren fingen die ersten düsteren Gedanken an zu wachsen.
Der Beginn meiner beruflichen Ausbildung als junge Erwachsene markierte einen Wendepunkt. In dieser Phase gewann meine Angst heimlich die Oberhand über mein Leben. Ich zog mit meinem damaligen Partner zusammen, begann mein erstes eigenes Geld zu verdienen und hatte eigentlich alle Voraussetzungen, um glücklich zu sein. Doch die Angst bestimmte meinen Alltag zunehmend. Die Arbeitsbedingungen wurden immer belastender, und ich entwickelte eine Angst davor, überhaupt zur Arbeit zu gehen. Gleichzeitig fürchtete ich jedoch auch, den Job aufzugeben, und erduldete stillschweigend, was dort geschah. Panikattacken überfielen mich, ich konnte nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren und verließ plötzlich Restaurants in Eile. Selbst Feiern mit Freunden konnte ich nur besuchen, wenn mein Partner mit dem Auto fuhr und wir jederzeit flüchten konnten. Diese Ängste beeinträchtigten nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch das meines Partners und meiner Freunde. Ich sagte Treffen zu, plante, auf Festivals zu gehen, nur um kurz vorher von Angst erfasst alles abzusagen und zu Hause zu bleiben. Ich führte mein Leben – aber nur zur Hälfte.
Wenn ich mich beschreiben müsste, dann als eine Abenteurerin und Freigeist, der es jedoch aufgrund ihrer Ängste nie gelang, diesen Teil vollständig auszuleben.
Ich lebte weiterhin mit meiner Angst, gewöhnte mich an sie und überzeugte mich selbst, dass ich mein bestes Leben führte. Doch in Wahrheit war das nicht der Fall. Ich hatte mich lediglich mit meinem Zustand arrangiert, der über die Zeit zur Normalität geworden war.
Erst in meinen mittleren Zwanzigern wurde mir langsam bewusst, dass ich weit entfernt von dem Leben war, das ich mir für mich wünschte. Dieses Bewusstsein, gepaart mit einem Gefühl der Ohnmacht und der Vorstellung, dieser Situation ausgeliefert zu sein, führte mich in die dunkelste Phase meines Lebens – eine Phase der Depression. “Dann beende ich es eben einfach”, war ein Gedanke, der mich damals täglich begleitete. Heute erscheint es mir absurd, dass der einzige Ausweg, den ich sah, darin bestand, mein Leben zu beenden. Die Vorstellung, meinen Freunden und meiner Familie meine wahren Gefühle zu offenbaren und die Unsicherheit über ihre Reaktion, versetzten mich in Angst. Ich wusste einfach nicht, an wen ich mich wenden konnte, und fühlte mich trotz des eigentlich soliden sozialen Netzwerks einsam und unverstanden.
Einmal unternahm ich den Versuch, Hilfe zu suchen, indem ich eine E-Mail an einen Therapeuten schrieb. Ich teilte meine Ängste und bedrückenden Gedanken mit ihm, erwähnte, dass ich möglicherweise in eine Klinik müsste, und dass ich nicht wüsste, wie ich so überhaupt weiterleben sollte. Doch erhielt ich nie eine Antwort darauf. Rückblickend kann ich nur den Kopf darüber schütteln.
Diese Erfahrung ist heute mein Antrieb in meinem Beruf. Niemand sollte sich jemals so fühlen müssen, und deshalb setze ich mich mit ganzer Kraft dafür ein, den offenen Umgang mit mentaler Gesundheit zu fördern. Ich erzähle meine Geschichte für die Jeannette, die damals hätte lesen müssen, dass es auch anderen so geht.
Der erste Schritt zur Veränderung beginnt bei uns selbst. Wenn wir offen sprechen, ermutigen wir andere dazu, dasselbe zu tun.

Möchtest du erfahren, wie ich aus dieser Situation herausgefunden habe?
Ich möchte nun offen und ehrlich mit dir sprechen und hoffe, dass meine Worte einen Platz in deinem Herzen finden. Mir wurde bewusst, dass niemand Fremdes mich retten konnte, und dass nur ich selbst das Ruder meines Lebens herumreißen konnte, um endlich das Leben zu führen, das ich mir ersehnte.
Voller Mut habe ich den Entschluss gefasst: Ich suchte Unterstützung bei verschiedenen Therapeuten, sprach offen über meine Ängste und teilte meine Geschichte mit Freunden. Ich griff zu Büchern, holte mir Rat bei gemeinnützigen Organisationen. Ich vertiefte mein Verständnis für Selbstwirksamkeit, den Glauben an meine eigene Stärke und Fähigkeiten. Ich erkannte, dass ich handeln kann und nicht passiv hinnehmen muss. Ich erkannte und akzeptierte, dass ich Schöpferin meines eigenen Lebens bin und nicht das Opfer meiner Umstände. Der Satz: „Ich bin meine eigene Sicherheit!“, begleitete mich dabei.
Du musst diesen Weg nicht alleine beschreiten, doch der erste Schritt in die richtige Richtung liegt in deiner Hand.